Vortrag, gehalten beim Dorftag in Wustrow am 3. Juni 1928 von Propst M. Vermehren - Sonderdruck.
zur Verfügung gestellt: Pastor Stier, Kirche zu Wustrow
Das Programm unseres Dorftages sagt, daß ich heute die Geschichte unserer Kirche erzählen würde. Dazu bin ich nun freilich nicht imstande. Von den meisten Erlebnissen dieses unseres Gotteshauses weiß nur der Allwissende. Man könnte davon mit dem Dichter sagen: "Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch!" Das gilt besonders von den ersten Anfängen ihres Entstehens, aber auch von ganzen Jahrhunderten ihres Bestehens. Was an Urkunden etwa vorhanden gewesen sein mag und was die langen Kämpfe zwischen Deutschtum und Slaventum an Nachrichten überstand, wird in den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, der auch unser Fischland nicht verschonte, zu Grunde gegangen sein. Da es aber in unserem Programm ausdrücklich heißt: "Programmänderungen vorbehalten", so mache ich hiervon Gebrauch und gebe nicht die ganze Geschichte unserer Kirche, sondern nur Bilder aus ihr.
Das freilich ist gewiß: wir stehen hier auf althistorischem Boden. Und soweit man zurückdenken kann, hat dieser Hügel zu gottesdienstlichen Zwecken gedient. Viele Jahre, wohl Jahrhunderte schon, bevor hier ein christliches Gotteshaus erstand, erhob sich hier ein Tempel, dem slavischen Gotte Swantewit oder Swjatowit geweiht. Der Hügel, auf dem unsere Füße stehen, soll nach alter Sage von einem Riesen mit Hilfe eines Schimmels in einer Nacht zusammengetragen sein. Dieser Riese ist unzweifelhaft der Swantewit selber, von dem die Sage ging, dass er auf einem weißen Pferde nachts Krieg führte gegen die Feinde seines Heiligtums. Sicher ist, dass der Hügel künstlich aufgeworfen worden ist, denn die Erde, aus der er besteht, hat, wie Nachgrabungen erwiesen haben, eine ganz andere Beschaffenheit als das Erdreich ringsum, und der geschichtliche Kern der Sage wird sein, dass die Priester des Swantewit ihn haben aufschütten lassen, um dem Tempel einen erhabenen Standort zu verschaffen. Wie der Tempel und das Gottesbild darin gestaltet waren, weiß niemand, aber wir werden nicht fehlgehen, wenn wir uns beides ähnlich, wenn auch nicht so großartig vorstellen, wie den Tempel und das Swantewitbild zu Arkona auf der nahen Insel Rügen. Von diesem Heiligtum haben wir eine ziemlich genaue Beschreibung in alten Chroniken.
Danach war der dortige Tempel groß, prachtvoll ausgeziert
und mit roten Vorhängen von überaus reichem Stoffe geschmückt. Die
hölzernen Wände waren mit feinem Schnitzwerk und kunstloser Malerei
versehen, das Dach dunkelrot. - Im Allerheiligsten stand die Bildsäule
des Gottes aus Holz, in riesenhafter Größe, mit 4 Hälsen und 4 Köpfen;
zwei Gesichter sahen nach links, zwei nach rechts, so seine Wachsamkeit
und Allwissenheit versinnbildlichend. Die linke Hand war in die Seite
gestemmt und hielt einen Bogen. In der Rechten trug er ein metallenes
Füllhorn, mit süßem, berauschendem Meth, einer Art Honigbier, gefüllt.
Umgürtet war er, als Gott des Krieges, mit einem großen Schwert, das
sich durch erhabene Arbeit und Silberglanz an Scheide und Griff
auszeichnete, und bekleidet mit einem bis an die Kniee reichenden
Gewande, das an der Brust mit Riemen und Spangen verziert war. Nahe bei
ihm lagen Sattel und Zaumzeug, mächtige Hirschgeweihe hingen an den
Wänden. Kein Mensch durfte das Allerheiligste betreten, nur, wie im
Alten Testament, der Oberpriester oder Kriwe am Jahresfeste des Gottes,
und auch er durfte nicht darin atmen, um nicht durch den Hauch eines
Sterblichen die Gottheit zu entweihen, sondern jedes Mal, wenn er
ausatmen wollte, musste er schleunig das Heiligtum verlassen und nach
seiner Rückkehr den Atem anhalten.
Am Jahresfest füllte der Priester
unter feierlichen Gebräuchen das Füllhorn des Gottes mit Meth. Denn, man
glaubte, wenn am Ende der Welt die Sonne stürbe, so bewahre Swantewit,
als der Gott des Lichts, noch das segenspendende Füllhorn, um daraus die
Seelen mit himmlischer Nahrung zu versorgen. Am Tage vor dem
Erntefeste, dem 30. November, wurde das Heiligtum gereinigt. Dann nahm
der Kriwe das Füllhorn aus der Hand des Gottes, betrachtete den im
vorigen Jahre hineingegossenen Meth und weissagte daraus dem Volke die
größere oder geringere Fruchtbarkeit des kommenden Jahres. War nämlich
in dem Horn noch viel Meth vorhanden, so deutete das auf künftigen
Überfluß; war aber der Meth ganz oder fast ganz ausgetrocknet, so war
Dürre und Mißwachs zu erwarten. Der übriggebliebene Meth ward vor der
Bildsäule des Gottes ausgegossen. Darauf füllte der Kriwe das Horn von
neuem, trank daraus auf die Gesundheit des Gottes, erflehte von ihm
Segen, Reichtum und Sieg für Volk und Vaterland und gab dann, nachdem er
es ausgetrunken und neu gefüllt hatte, in die Hand des Gottes zurück.
Beim
Beginn eines Krieges wurden vor dem Tempel sechs Lanzen in zwei Reihen
gleich weit voneinander entfernt in die Erde gesteckt. An jedem Paar
wurde eine dritte Lanze wagerecht in solcher Höhe befestigt, dass der
heilige Schimmel des Gottes darüber hinwegtreten konnte, ohne zu
springen. Nun nahm der Kriwe nach feierlichen Gebeten das Pferd beim
Zügel, führte es an die Lanzen und ließ es darübersteigen. Wenn das
Pferd bei jeder Lanze allemal das rechte Bein zuerst hob, so bedeutete
das einen glücklichen Ausgang für den Kampf. Hierauf wurde geopfert und
ein sehr großer, aus Mehl und Honig bereiteter Kuchen hereingebracht, in
dem ein Mensch Platz hatte. Der Kriwe stieg in ihn hinein und fragte
dann alle Anwesenden, ob sie ihn sähen. Alle antworteten Ja. Nun wandte
er sich zu Swantewit und bat, er möge gewähren, dass sie ihn im nächsten
Jahre nicht sähen, also noch reicheren Erntesegen hätten. Die Feier
wurde mit einem Zechgelage beschlossen, bei dem es für eine Schande
galt, nicht betrunken zu sein. Auch Pferde wurden dem Swantewit
geopfert, indem man ihnen den Hals durchschnitt, das Blut auf die Erde
laufen ließ und dann die abgeschnittenen Pferdeköpfe an Bäume nagelte,
die den Tempel umgaben, und an denen dann die bleichen Schädel noch
lange zur Erinnerung hängen blieben.
Noch fürchterlicher war es, dass man dem Swantewit zu Weilen auch Menschen opferte, besonders Kriegsgefangene, und alljährlich wenigstens einen Christen. Diese wurden mit ihren Waffen auf Pferde gesetzt und daran festgebunden. Dann band man die Beine des Pferdes an vier starken, in die Erde gerammten Pfähle fest, umgab sie mit Reisigholz und zündete dies an, sodaß Roß und Mann lebendig verbrannten. Ein düsteres Schattenbild altslawischen Heidentums!
So ging es auf Rügen zu bei dem Swantewit-Tempel in der Jaromarsburg bei Arkona, und nicht viel anders wird es in Wustrow gewesen sein bis zur Einführung des Christentums. Wann diese erfolgt ist, meldet auch keine Chronik. Aber wenn schon am 15. Juni 1168 auf Rügen durch den Kriegszug des Königs Waldemar I. von Dänemark und des Bischofs Absalom von Roeskilde die Jaromarsburg erobert und der dortige Tempel mit dem Götterbilde verbrannt worden ist, so wird ungefähr um diese Zeit auch auf dem Fischlande das Heidentum besiegt und das Christentum eingeführt worden sein. Damit nähern wir uns dem Zeitpunkte, wo auch hier eine christliche Kirche entstand. Wann war das?
Der verdienstvolle erste Geschichtsschreiber der
Fischlandes, der verstorbene Navigationslehrer Carl Peters, nimmt an,
daß der Bau der ersten Kirche hier um die Mitte des 14. Jahrhunderts
oder bald darauf geschehen sei.
Denn in einer Urkunde vom F. 1385 wird zum erstem Male die
"Kirche des Heiligen Jodokus" in Wustrow erwähnt, und auch alle
Bausachverständigen und Architekten setzten den Bau der vorigen Kirche,
die bis 1869 hier stand, nach Stil und Bauformen in die Mitte des 14.
Jahrhunderts, also etwa 1350.
Und wir haben kein Recht, das zu
bezweifeln. Dann aber muß angenommen werden, daß das nicht der erste,
sondern schon der zweite Bau war. Dafür sprechen zwei Gründe.
Der
selige Superintendent Pentz schreibt in seiner "Geschichte
Mecklenburgs", daß der berühmte Bischof Berno von Schwerin, der Apostel
Mecklenburgs und Vorpommerns, dafür gesorgt habe, daß die neuen Kirchen
auf der Stelle gebaut wurden, wo früher heidnische Tempel gestanden
hatten, und nennt dabei auch die Kirche von Wustrow. Da der Bischof
Berno spätestens 1193 starb, so kann er nicht 1350 eine Kirche gebaut
haben.
Ferner existiert noch jetzt eine Urkunde des römischen Papstes
Gregorius IX. aus dem Jahre 1235, die im Original im Provinzial-Archiv
zu Stettin liegt und aus der hervorgeht, daß damals unter Wustrow samt
Bentwisch und Volkenshagen dem Zisterzienserkloster zu Dünamünde bei
Riga gehörte. Wie das gekommen ist, wissen wir nicht; wahrscheinlich
infolge der Kreuzzüge, die die Ritter des Deutschen Ordens im 12. und
13. Jahrhundert von Norddeutschland aus über Lübeck nach Livland
machten. Wahrscheinlich verdankt Volkenshagen (früher Volquenshagen
geschrieben, lateinisch Indago Volquini) seinen Namen dem Ordensmeister
Volquinus. Wenn aber Wustrow schon 1235 jenem Kloster gehörte, dann ist
es doch undenkbar, daß die glaubenseifrigen Mönche, deren Lebensaufgabe
die Bekehrung der Heiden war, noch bis 1350 einen Tempel des heidnischen
Götzen hier geduldet hätten.
Zwar ist es dem genannten Carl Peters
zweifelhaft, ob mit dem in der päpstlichen Urkunde genannten Wostrowe
wirklich unser Wustrow gemeint sei, denn der Ort sei sonst immer Swante
Wostrowe genannt worden, nicht bloß Wostrowe. Aber wir meinen, das
erklärt sich sehr leicht. "Swante Wustrow" heißt im Slawischen "Heilige
Insel". Heilig ward sie von Wenden genannt wegen ihres Heiligtums, des
Swantewit-Tempels. Aber in den Augen der Mönche war solcher Tempel kein
Heiligtum, sondern ein Gegenstand des Greuels und Abscheus, und konnte
dem Lande keinen heiligen Charakter geben. Sie nannten das Fischland
also nur Wostrowe, und der Papst schloß sich ihrer Ausdrucksweise an. So
spricht alles dafür, daß schon zu Ende des 12. oder zu Anfang des 13.
Jahrhunderts der Swantewit-Tempel abgerissen und dafür zu
Missionszwecken eine kleine Kirche oder Kapelle erbaut worden sei, die
dann später, um 1350, einen Umbau oder Neubau erfuhr, jedenfalls auf
Veranlassung des St. Claraklosters in Ribnitz, dem 1328 das Fischland
geschenkt worden war. Möglicherweise war damit auch eine Namensänderung
verbunden. Daß die zweite Kirche dem heiligen Jodokus geweiht war, haben
wir schon gehört. Ob die erste auch schon?
Pentz berichtet, daß
Bischof Berno statt der Anbetung heidnischer Götzen die Verehrung
christlicher Heiliger mit ähnlichen Namen eingeführt habe, so in Kessin
bei Rostock statt des Goderac den heiligen Gotthardt, statt des
Swantewit den St. Vitus oder Veit, sodaß die neubekehrten Christen nun
in der Messe statt des gewohnten Namens Swantewit das Gebet hören
konnten: Sancte Vite, ora pro nobis (heiliger Vitus, bitte für uns). So
war es in Arkona schon gemacht worden, und das nahe dabei liegende Dorf
Vitt erinnert noch jetzt durch seinen Namen und seine Kapelle daran. Ob
bei uns der alte Flurname Vittebrok (ein Teil unseres Nachbardorfes
Ahrenshoop) damit zusammenhängt? Doch ist das nur eine zaghafte
Vermutung.
Wie es bei der Taufe der Fischländer zugegangen ist, ob so friedlich wie auf dem heute hier aufgestellten Bild einer Germanentaufe oder etwas gewaltsamer, wissen wir auch nicht. Doch wenn der ehrwürdige greise Einsiedler auf dem Bilde die Taufe im Walde vornimmt, so stimmt das ganz zu dem alten Fischland. Daß dies bewaldet war, ist nicht nur naturgemäß, sondern auch die Namen Althagen und Niehagen lassen dies deutlich erkennen. Denn alle die Ortschaften, deren Namen auf "hagen" endigen, sind auf urbar gemachtem Waldboden erbaut. Zugleich sagen die beiden deutschen Namen aus, daß Alt- und Niehagen nicht von Slawen erbaut, sondern deutsche Ansiedlungen gewesen sind, während der slawische Name Wustrow verrät, daß dessen Ureinwohner Wenden waren.
Etwas besser als die erste Kirche sind wir über die zweite
unterrichtet, die sicher dem heiligen Jodukus geweiht war. Während der
hl. Vitus oder Veit, der vielleicht (nach Pentz) der ersten Kirche ihren
Namen gab, nach der Überlieferung ein christlicher Jüngling von zwanzig
Jahren im römischen Reiche war, der bei der furchtbaren
Christenverfolgung unter dem heidnischen Kaiser Diokletian im Jahre 304,
da er sich weigerte, seinen Glauben zu verleugnen, in einem Kessel voll
kochenden Wassers zu Tode gemartert wurde und deshalb auch abgebildet
ward in einem Kessel sitzend oder neben einem Kessel stehen, so war der
hl. Jodukus, der an der Küste viel verehrt ward und z.B. auch in Ribnitz
eine, Kapelle hatte, nach der Legende früher König der Bretagne, legte
aber seine Krone nieder und ward Einsiedler.
Als einmal in Folge
schlechter Ernte eine Hungersnot drohte, erschien auf sein Gebet ein
Schiff voll Korn auf dem Strom und fuhr ohne von Menschenhand gelenkt zu
sein. Nach der notleidenden Gegend hin. Deshalb wurde Jodukus wohl als
Schutzheiliger der Schifffahrt angerufen.
Das Siegel unserer Kirche
erinnert noch an diese fromme Sage. Es zeigt ein Segelschiff auf den
Wellen; das vom Winde geblähte Segel ist mit dem Monogramm Christi
geschmückt, der Mast mit einem Kreuze gekrönt; kein Mensch ist im Schiff
zu sehen, ein paar im Wasser schwimmende Schiffe erinnern an den Namen
des Fischlandes, und das ganze Siegel deutet darauf hin, daß das
Fischland für seinen Fischfang ebenso Gottes Hilfe und Segen braucht wie
einst die Bretagne. Würde der Name des hl. Vitus an die Zeit der
Heidenbekehrung erinnern, so der des hl. Jodukus anderthalb Jahrhunderte
später, als es hier keine Heiden mehr zu bekehren gab, an die
Berufstätigkeit der Bekehrten. Schifffahrt und Fischfang waren wohl
damals schon Haupterwerbszweige.
Auch über die Gestalt dieser zweiten Kirche sind wir schon
besser unterrichtet. Wahrscheinlich war das Mittelschiff der älteste
Teil der Kirche, und Chor und Turm sind erst später hinzugefügt worden;
vermutlich kurz vor dem dreißigjährigen Kriege, als Wustrow wuchs und
eine Vergrößerung der Kirche wünschenswert war. Denn eine Beschreibung
aus 1620-21 (als 2-3 Jahre nach dem Beginn des Krieges) sagt: "Das Chor
hat in der Länge 12 Ellen, in der Breite 10, oben mit einem Gewölbe,
darin 50 Fenster. Vom Chor bis an den Turm 24 Ellen lang, breit mit
beiden Abseiten 21 Ellen. Auf jeder Seite 3 Pfeiler mit Schwibbogen, 5 ½
Klafter hoch, oben mit Brettern belegt, und zwischen den Pfeilern eine
Emporkirche. Von den 6 Pfeilern sind 4 je 1 ½ Ellen dick, die beiden
letzten haben 2Ellen im Vierkant. Die Mauer hat auf beiden Seiten 5
Felder, das ganze Gebäude hat doppeltes Steindach und auf beiden Seiten 7
Tafeln Glasfenster. Der Thurm hat ein Gemäuer, das 9 ½ Klafter von der
Erde bis aufs Dach hoch ist, und ist 4 Klafter breit und lang. Die Mauer
ist zur Hälfte 2 Ellen, die andere Hälfte 1 Elle dick. Das Holz
inwendig ist etwas baufällig, auf beiden Seiten sind hübsche Stühle. Im
Thurm hangen 3 Glocken, die große 1 ½ Ellen breit und hoch, im Umfang 6
Ellen, die mittelste 1 ¼ Ellen breit und hoch, im Umfang 4 Ellen, die
kleinste ¾ Ellen breit und hoch, 3 Ellen im Umfang."
Jedenfalls war
die Kirche, wie auch ihre heute die Kanzel schmückende Fotografie von
1869 zeigt, eine richtige Dorfkirche. Am Eingang befand sich zur linken
Hand ein in die Wand gemauertes Epitaphium (Gedenkstein). Auf den Tod
des 1602 hier gestorbenen schwedischen Kammerjunkers und Rates Georg
Blank, das noch jetzt vorhanden ist. Es ist das einzige feste Stück, das
aus der alten Kirche in die jetzige übernommen wurde, und wohl als ein
Unikum anzusehen, weil sich in der Klosterkirche zu Ribnitz ein Duplikat
dazu befindet mit demselben Wortlaut, aber vor dem unserigen dadurch
ausgezeichnet, daß es auch die Porträts des Verstorbenen und seiner
Gattin, ihre und ihrer Vorfahren Familienwappen und im Hintergrunde die
Stadt Wiborg in Finnland zeigt, in der Georg Blank seines Amtes gewaltet
hatte. Daß einem und demselben Manne zwei Epitaphien gewidmet wurden,
ist wohl eine außerordentliche Seltenheit. -
Die drei genannten
Glocken wurden im 18. Jahrhundert durch drei neue ersetzt (gegossen
zwischen 1717-1771, jetzt aber auch nicht mehr vorhanden). An
beweglichen Inventarstücken haben wir noch die beiden Taufsteine, den
kleinen aus Zement am Aufgang zum Altarraum, der noch gebraucht wird,
und den kolossal großen aus französischem Kalkstein, der unten im Turme
aufbewahrt wird, eine sog. Fünte, in der die Täuflinge ganz und gar
untergetaucht werden konnten, wie das in der griechisch-katholischen
Kirche noch jetzt üblich ist. Auch ein metallenes Taufbecken mit der
Darstellung des Sündenfalles und ein zinnernes Abendmahlsgerät sowie
zwei zinnerne Altarleuchten haben einst zum Inventar der vorigen Kirche
gehört und erinnern noch an sie.
Das Patronat über sie hatte jedenfalls das Nonnenkloster
der hl. Clara in Ribnitz, seitdem Fürst Heinrich von Mecklenburg, wie
oben berichtet, im Jahre 1328, also gerade vor 600 Jahren, ihm das ganze
Fischland zum vollen Eigentum geschenkt hatte. Diesem Kloster gehörte
es 250 Jahre. Als aber 1577 die Reformation auch hier durchgeführt
wurde, hörte diese Verbindung auf; nach langwierigen Verhandlungen wurde
1669 das Fischland dem Domanium einverleibt. Damit übernahmen die
Fürsten zugleich die Verpflichtung, das Kirchen- und Schulwesen zu
erhalten, was von großer Bedeutung für unseren Ort wurde.
Bald
nachher, 1671, ist in der Kirche noch eine andere Gedenktafel angebracht
worden, nämlich für einen Königlich schwedischen Förster, namens
Müller, in Ahrenshoop, die nicht mehr vorhanden ist, deren Errichtung
aber auf den kirchlichen Zusammenhang hinwies, der damals naturgemäß
zwischen Wustrow und dem nahen Ahrenshoop bestand und auch jetzt noch
nicht völlig aufgehört hat, wenn auch der Neubau der Kirche seit 1869 zu
einer offiziellen Trennung der Gemeinden führte.
Was im übrigen die Jahrhunderte gebracht haben, und was die
Herzen der Fischländer bewegt hat in den Zeiten des Dreißigjährigen,
des Siebenjährigen Krieges, der Franzosenzeit, der Befreiungskriege, es
hat gewiß auch im kirchlichen Leben seinen Widerhall gefunden in Gebet
und Fürbitte, in Lob und Dank. Aber viel Redens davon machen ist der
Fischländer Art nicht, und mit Mühe nur ist es gelungen, aus der gewiß
großen Zahl der Opfer, die auch unsere Gemeinde bei Napoleons Zug nach
Moskau und in den Freiheitskriegen gebracht hat, zwei Namen
festzustellen, deren Gedächtnis eine Tafel in der Kirche bewahrt.
Und
wenn dem Pastor Belitz, der von 1798-1808 hier im Amt war, also noch
den Anfang der Franzosenherrschaft von 1806 an erlebte, von einem
Wustrower im Jahre 1831 nachgerühmt wird: "Zur Zeit der Gefahr und der
Noth wagte er zum Wohle Fischlands alles, ja, er verließ einst unter
drückenden Umständen Frau und Kinder mit den Worten: Ich muß helfen,
retten, schützen - ich gehe für meine Gemeinde so weit der Himmel blau
ist", so mögen wir wohl bedauern, nichts näheres über diese Nöte und
Hilfeversuche zu wissen. Aber soviel sagt uns auch dies kurze Wort, daß
die Kirche und ihr Wort gerade in Zeiten der Gefahr und Sorge eine
Quelle des Trostes und Werktätiger Nächstenliebe war. Auf die von
Napoleon geplante Aushebung von 600 Matrosen in Mecklenburg für seine
Flotte, wovon auf Wustrow 200 kommen sollten, was nur mit Mühe
verhindert wurde, kann sich die Andeutung nicht beziehen, denn dies trug
sich erst 1811 zu (Krambeer, Meckl. Geschichte in der Volksschule, S.
133 f).
Aber nicht nur die Menschen litten unter den Stürmen der
Welterschütterungen, auch die Gebäude mußten dem nagenden Zahn der Zeit
zum Opfer fallen. Das galt auch von unserm Gotteshaus. Die Kirche war in
dem halben Jahrtausend, das sie gestanden hatte, baufällig geworden.
Das ist vielfach angezweifelt worden und galt gewiß auch nicht von allen
ihren Teilen. Aber das ihr Abbruch 1869 und der Neubau kein
überflüssiger Luxus war, geht aus dem eben erwähnten Schreiben eines
ungenannten Wustrowers hervor, das im November 1831 verfaßt und als
offener Brief verbreitet worden ist.
Dieser schreibt, zum Teil mit
erfrischendem Humor: "Nicht allein unsere Religiösität ist im Schwanken,
sondern auch unsere Kirche ist sehr im Verfall. Die Kirchhofsmauer ist
ringsum eingestürzt und die Steine liegen zum Skandal auf der Straße und
in den danebenliegenden Höfen und Gärten. Dieser Zustand erinnert uns
lebhaft an die Vergänglichkeit alles Irdischen und an unsere eigene
Hinfälligkeit. Das Kirchendach auf der Nordseite ist von der
Beschaffenheit, daß es uns auf die Köpfe regnet; für Hypochondristen und
Gichtische so gut als ein Regenbad. Ein steinernes Gewölbe ist dem
Einstürzen nahe. Einige Bänke sind zerbrochen - sehr heilsam gegen das
Einschläfern. In einigen Fenstern sehen wir statt Scheiben Lumpen
gestopft, um mehr Schatten und Kühlung in die Kirche zu bringen. Ein
Engel, in der Vorzeit über dem Taufstein hangend, ist durch Bruch des
Seiles von seiner Höhe gestürzt; zum Wiederaufhängen ist ein neuer Reif
erforderlich, allein man hat ihm dieses Bedürfnis rund abgeschlagen und
ihn, nach halbjährigem schweren Leiden im Gefängniß, unbarmherziger
Weise in eine Ecke der Kirche, zu seinem weiland Taufstein geschleppt,
wo er wohl bis zum jüngsten Tage Quarantaine halten muß; aus Rachsucht
gegen seine altmodische Frisur. Wir sehen übrigens diesen alten
Bekannten ungern aus unserer Mitte scheiden." Dies Gefühl wurde wohl
allgemein in der Gemeinde geteilt. War doch dieser berühmte Taufengel
schon vor der Erfindung des Barometers ein Wetterprophet, da das Tau an
dem er hing, je nach dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft verschiedene
Drehungen der Figur verursachte, aus denen die wetterkundigen Seeleute
nach langjährigen Erfahrungen schon beim betreten der Kirche schließen
konnten, was für Wetter bevorstand. Leider ist dieser wohltätige Engel
spurlos verschwunden, kein Mensch weiß, wo er geblieben ist.
Wie sehr die Wustrower am Altgewohnten hingen, zeigte sich auch, als 1834 der Friedhof um die Kirche (der richtige "Kirchhof") geschlossen und ein neuer Friedhof außerhalb des Ortes angelegt wurde; das geschah, wie die Chronik sagt, "zur großen Betrübnis und Unzufriedenheit der Gemeinde".
Das aber ist gewiß: wenn Wustrows Kirche schon 1831 so baufällig war, so war sie bis 1869 nicht besser geworden, und ihr Ersatz durch einen Neubau war ein wohl angebrachtes Geschenk des Großherzogs Friedrich Franz II. Ein Geschenk, sage ich. Denn von den rund 32 000 Talern, die er kostete, zahlte der Fürst über 30 000, so daß auf die ganze Gemeinde nur etwas über 2000 Talern kamen. Am 1. August 1869 fand der letzte Gottesdienst in der alten Kirche statt und die Gemeinde nahm Abschied von ihr, um während des Bauens im Schulhause Gottesdienst zu halten. Aber ehe dieser beginnen konnte, brach am Mittwoch, dem 4. August, jener furchtbare Brand aus, der in wenig Stunden 48 Häuser der Westseite in Asche legte. Sie erhoben sich aber schneller aus den Trümmern wieder, als die Kirche, die dazu vier Jahre brauchte. Wahrscheinlich waren es die Folgen des Brandes, der Krieg von 1870-71, die Sturmflut von 1872, die mit daran schuld waren. Aber endlich konnte am Sonntag, dem 14. September 1873, dem altkirchlichen Festtag der Kreuzerhöhung, die Kirchweihe sein. Zu dieser erschien der hohe Bauherr und Landesfürst selber, der beim Gottesdienst auch Patenstelle übernahm bei der Taufe von zwei Kindern, die leider beide klein gestorben sind, und der nach der Feier den Turm bestieg, um die herrliche Aussicht von der Galerie zu genießen. Daß er allein gekommen war, ohne seine hohe Gemahlin, die Großherzogin Marie, mag manchen verwundert haben, erklärte sich aber bald, als kaum 4 Wochen darauf, am 10. Oktober, sich die Kunde verbreitete, daß seine Gemahlin ihm ein Söhnlein, den späteren Kolonialherzog Adolf Friedrich, geschenkt habe.
So hatte Wustrow nun seine neue Kirche, deren schönster Schmuck sein Altarbild ist, auch ein Geschenk des Fürsten, gemalt von Professor Stever in Düsseldorf, und sinnig ausgewählt mit Bezug auf den Hauptberuf der Fischländer, die gefahrvolle Schiffahrt; zeigt es doch Christus und Petrus im Meeresturm. 55 Jahre sind inzwischen vergangen. Vieles hat sich seitdem geändert. Auch manches an und in der Kirche. 1883 erhielt sie die großen Bilder Luthers und Milanchthons. 1900 wurde das gemalte Fenster im Südchor angebracht, aus Mitteln ihrer Kasse für Kirchenschmuck. 1906 wurde die große Glocke umgegossen, da sie einen Riß hatte. 1912 stickten junge Mädchen aus der Gemeinde kunstvoll neue schwarze Paramente für die Passionszeit. 1913 wurde die Gedächtnistafel für zwei Opfer der Freiheitskriege angebracht. Die meisten Veränderungen brachte aber der Weltkrieg 1914-18, der ihr Wunden schlug, die noch nicht alle ausgeheilt sind. Sie mußte am 30. Juni1917 von ihren drei Glocken zwei abgeben; sie konnten noch nicht ersetzt werden. Erst jetzt eröffnet sich gute Aussicht auf neue. Sie gab die Prospektpfeifen der Orgel her; sie fehlen noch. Ihr kupferner Blitzableiter wurde ihr genommen und durch einen minderwertigen ersetzt. Die beiden 1909 von der Gemeinde angeschafften Öfen standen im Kriege und noch lange nachher kalt. Eine im Jahre 1915 der Kirche testamentarisch vermachte Stiftung von etwa 11000 Mark zu ihrer Ausschmückung ist durch die Inflation vernichtet. Zwar ein neuer Schmuck ziert sie seit dem Kriege: die Lorbeerkränze mit den Namen der Gefallenen. Aber welch wehmütiger Schmuck! 1922 erhielt Wustrow elektrisches Licht; die Kirche ging leer aus, da die Mittel fehlten.
Doch eine erfreuliche große Veränderung brachte das letzte Jahr. Die neue Regierung, dem Beispiel der früheren folgend, schenkte der Kirche ein neues farbenfrohes Innengewand statt des nüchtern grauen und graubraunen Farbtones der Wände und Decke. Acht Sonntage mußte die Gemeinde wieder im Schulhause Gottesdienst halten, dann kehrten wir froh zurück und freuten uns des frischen Anblicks. Decke, Bogen, Altargewölbe prangen in lebhaften, doch nicht zu bunten Farben, und wenn darin das grün vorherrscht, die Farbe des Lebens und der Hoffnung, so sei uns dies ein Sinnbild der Hoffnung auf Gott und das Leben in ihm. Die Seelen zu dieser Hoffnung und zu diesem Leben zu führen, ist die Aufgabe der Kirche. Darum schließen wir den Rückblick auf die Geschichte dieses Gotteshauses mit dem hoffnungsvollen, dankbaren Gebet: "Herr, sei auch ferner mit uns, wie Du gewesen bist mit unsern Vätern!" Das walte Gott!