Beitrag: Günther Weihmann, Strandstr. 8a 18347 Ostseebad Wustrow
Bilder: aus der Sammlung von Günther Weihmann
Die Entwicklung der Ruder-Rettungsboote ist so alt, wie die der Rettungsstationen an den deutschen Küsten. Im Einklang mit den Raketenapparaten bildete das Boot eine Rettungseinheit, die in vielen Fällen auch eine gemeinsame Anwendung fanden. Im Verlaufe der Jahrzehnte von 1865 bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts durchlief die Gestaltung der Boote manch wesentliche Veränderung hinsichtlich Bauweise und Gewicht. Ziel war es seitens der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger immer gewesen (und ist es noch heute!) den Rettungsstationen die zuverlässigsten Rettungsmittel zu übergeben. Die Beweglichkeit der Rettungseinheit musste an Land so gestaltet sein, dass diese in kurzer Zeit in den Strandbereich gebracht werden konnte, wo der Havaristen am Nähesten lag.
1847 bekam Großherzogliche Rettungsanstalt zu Wustrow auf Fischland als erste ein Ruder-Rettungsboot mit Wagen und einen Leinenmörser. Bei der Strandung des preußischen Schoners »CERES« am 24. März 1852 bewährte sich das Boot in hervorragender Weise. Alle 7 Besatzungsmitglieder wurden gerettet.
1866 stationiert die DGzRS in ihrer neugebildeten Station ebenfalls ein Boot (28 Fuß (8,53 m) lang, Name: „DR. EMMINGHAUS“) und Raketenapparat. Beide Stationen werden um 1870 vereint. Aufgrund der Hochflut von 1904/05 wird das alte Gebäude an der Düne, nach Bau des neuen Stationsgebäudes an der Strandstrasse 1905/07, abgebrochen. Das Ruderboot auf dem Bootsablaufwagen (1904 von der Fa. Stilkenboom aus Süderneuland bei Norden /Friesland hergestellt!) wurde auch in Wustrow mittels Pferde (6) transportiert.
1966 wurde der Raketenapparat aus der Ausrüstung der Rettungsstationen der DDR entfernt und moderne Leinenwurfgeräte eingeführt, auf Miniraketenbasis bei Beibehaltung des Pendelprinzips mit Rettungsinseln. Gleichzeitig wurden anstelle der Ruderrettungsboote motorisierte Einheiten benutzt. Bis 1990 wurden die LWG mehrfach modifiziert. Seit der Integration des Seenotrettungsdienstes der DDR in die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger werden für die Herstellung von Leinenverbindungen von Land zu Schiff umweltfreundliche, pneumatische Leinenwurfgeräte benutzt.
Der Rettungsmannschaft wurden bei Erfordernis durch die ortsansässigen Bauern uneigennützig die Tiere zur Verfügung gestellt. Es gab den „freiwilligen Gespanndienst“! Diese Tatsache ist umso höher einzuschätzen, da die Bauern ihre Pferde nicht nur bei Seenotfällen, ja auch zu Übungen, neben ihren täglichen Aufgaben, bereitstellten. Im Falle einer Einsatzfahrt wurden dem Wagen mit dem Rettungsboot drei Pferde-Paare vorgespannt. Der Bootsführer W. Voß, Bootsmann 1929, beschreibt dies wie folgt:
„Die Mannschaft schiebt den Wagen mit dem Boot aus dem
Schuppen heraus. Damit die Bespannung schnellstens abrücken kann.
Infolge der Beplattung der hinteren Räder des Bootswagens ist dieser in
der Lage, jede Bodenart, ob loser Sand, Lehm, oder Steine zu überfahren. An
der Strandungsstelle angekommen macht der Wagen mit dem Boot eine
Drehung, sodass das hintere Ende des Wagens dem Wasser zugekehrt ist.
Die Pferde werden ausgespannt und die Mannschaft schiebt den Wagen so weit in die See hinein, wie der Tiefgang des Bootes es erfordert, um
dasselbe schwimmfähig zu machen. Die Mannschaft bekleidet sich jetzt, da
es verboten ist, ohne dieselben das Boot zur Ausfahrt zu betreten,
lösen die seitlichen Zurrings (Befestigungstaue) und besteigen das Boot.
Jeder hat seinen bestimmten Platz, die Bootsriemen werden ausgelegt,
und auf ein Kommando des Bootssteurers (Vormann) wird ein Splint aus dem
Spannagel des Wagens herausgeschlagen, der lange Hinterteil des Wagens
kippt ins Wasser, und da das Boot mit seiner breiten Kielsohle auf
Rollen steht, gleitet es sofort mit einer entsprechenden Geschwindigkeit
vom Wagen in die See hinaus.
Aber nicht immer geht dieser Ablauf so
glatt, dafür stehen vorne im Boot zwei Mann mit langen Stangen, die das
Boot gegen die anrollende See zu stützen haben und alle Chancen
ausnützen müssen, um gemeinsam mit 8 Ruderern das Boot durch die
Brandung zu bringen. Gelingt es nicht, durch die Brandung zu kommen, so
wird eine Ankerrakete ausgeschossen und hieran das Boot durch die
Brandung gezogen.“
Diese Verfahrensweise war Praxis bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Wustrower Boot, das den Namen »Navigationsschuldirektor Schütz« trug, wurde bei Kriegsende 1945 zur Flucht nach den Westen aus der Station entwendet, ging 1946, nachdem es durch englische Behörden in Flensburg freigegeben worden war, spurlos verloren. Ein neues Boot kam 1947 nach Wustrow, welches durch einen motorisierten Schwimmwagen 1963 abgelöst und ausgemustert wurde.
Mit diesem Wechsel war die Zeit der Ruderrettungsboote endgültig zu Ende. Die Strandrettungsboote erlebten in den Folgejahren ständig Veränderungen. Auf Fischland kamen nach der „Amphibie“ modifizierte Schlauchboote mit leistungsfähigen Außenbordmotoren, z. B. das aus der Fischerei stammende Schlauchboot „MB 37“ oder das halbstarre „RB 5000“, mit einer starren Unterschale und aufgesetztem Luftschlauch, zum Einsatz. Als Zugmittel dienten spezielle LKW der DDR-Typen „W 50“ bzw. bis 1993 der „L-60“.
Da inzwischen das Einsatzgebiet sich auch auf die im Hinterland liegenden Boddengewässer ausgedehnt hatte, waren diese Boote für einen dortigen Einsatz, durch das Vorhandensein vieler Netze der Fischer, nur bedingt geeignet. Mit dem Übergang des Seenotrettungsdienstes der DDR in die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger erhielt die Wustrower Station auf Fischland ein neues Bodden-Rettungsboot „BARSCH“ auf Trailer mit Zugmittel „Unimog U 2150 L“ zugeschnitten. Auf die örtlichen Belange steht es nunmehr 10 Jahre im aktiven Dienst für die freie See und den Boddengewässern.
Zur Bewahrung der Tradition der Ruderrettungsboote wurde seitens des Maritimen und Heimatverein Wustrow e. V. 1996 das ehemalige Ruderboot „UNSER EILAND“ der Station Prerow erworben. Restauriert durch die Rostocker TECTOR Projektentwicklung GmbH wurde das Boot am 20. Mai 2000 auf den, neben dem Stationsgebäude stehenden, Bootswagen gesetzt. Beides bildet nunmehr die in Ostdeutschland einzige ehemalige Rettungseinheit aus längst vergangener Zeit des heutigen so lebendigen Seenotrettungswerkes.