Beitrag: Brigitte Hildisch in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Helga Konow, Nationalparkamt Vorpommern
Die geografische Lage der Sundischen Wiese lässt sich auf einfache Weise beschreiben: Sie umfasst den östlichen Teil der Halbinsel Zingst, auch der Zingst genannt. Gelegen zwischen, sehr, sehr viel Wasser, der Ostsee im Norden und den Boddengewässern im Süden - hat diese Gegend ihren besonderen Reiz.
Der Name Sundische Wiese ist auf eine frühere Angliederung des östlichen Teils des Zingstes an die Hansestadt Stralsund zurückzuführen. Hinweise auf jene Zugehörigkeit gibt es bereits aus dem 13. Jahrhundert. Diesen Quellen nach leitet sich der Bestandteil "Sundisch" von der 2. Silbe des Städtenamens Stralsund ab.
Dem Besucher dieses Landstriches sollte immer gegenwärtig sein, dass die Sundische Wiese mit der Hohen Düne von Pramort und dem besucherfreien Strand sowie die vorgelagerten Inseln und das große Windwatt für bedingungslosen Schutz der Natur stehen. Um das Ringen der Mitarbeiter des Nationalparkamtes um dieses Stückchen Wiese in seiner Gesamtheit zu verstehen, ist es sinnvoll, einige geschichtliche Fakten zu sammenzutragen.
Anfang des 20. Jahrhunderts veräußert die Hansestadt Stralsund die Sundische Wiese für eine Summe von 310.000 Mark. Sie geht in die Hand des Barons von Klot-Trautvetter über. Und nur einige Jahre später gibt es mit dem Grafen Eulenburg bereits einen weiteren Eigentümer. Mit 1.100.000 Mark hat sich der Kaufpreis schon deutlich erhöht. Die Folgen tragen die Pächter der in der Sundischen Wiese angesiedelten Bauern, denn ihr Pachtzinns wird drastisch angehoben, so dass 1913 die ersten 16 Bauernfamilien ihre Höfe aufgeben.
Der 1. Weltkrieg macht Graf Eulenburgs Pläne, den Berliner Eisenbahnverkehr nach Trelleborg über Barth zu verlegen, zunichte.
Der nächste Interessent ist ein Zeitungskonzern, der das Land mit der Absicht erwirbt, hier Nesselpflanzen für die Produktion von Papier anzubauen. Der Versuch misslingt, da die Pflanzen an diesem Standort nicht gedeihen.
Als die Sundische Wiese dann an die Nordische Handelsgesellschaft veräußert wird, kommt es aus reiner Profitgier zu einem großflächigen Abholzen von Bäumen.
Der Erwerb der Flächen durch die Siedlungsgesellschaft "Neuland A.G." führt lediglich zur Wiederbesiedlung der alten, leer stehenden Bauerngehöfte. Neue, wie zu vermuten wäre, entstanden nicht. Hauptursache für das Scheitern des Projektes ist die schlechte Bodenqualität dieses Gebietes.
Diesem einzigartigen Landstrich fällt 1937 eine völlig neue Bestimmung zu. Das Militär zieht ein. Die Wehrmacht beansprucht das Gelände der Sundischen Wiese für Schieß- und Bombenabwurfübungen. Und 36 Siedler erhalten die Aufforderung, ihre Bauernhöfe unverzüglich zu räumen. Teile des Geländes werden bebaut. Zeitlich parallel zu der Einrichtung eines Flak-Schießplatzes, eines Behelfsflugplatzes und des Bombenabwurfgeländes entstehen Kasernen und Lehreinrichtungen für die Soldaten.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wird die Sundische
Wiese wieder neu besiedelt. Was für eine Herausforderung, denn das
Gelände ist mit den traurigen Überbleibseln der militärischen
Einrichtungen und 14000 Bombentrichtern unwirtlicher denn je zuvor. Eine
Gruppe einheimischer Naturfreunde sieht die Chance, einen "Deutschen
Nationalpark an der Ostseeküste" auszuweisen.
Es kommt anders. In den Jahren 1956/57 erhebt die
Nationale Volksarmee Anspruch auf einen Teil der Sundischen Wiese. Der
Idee, das Gebiet nördlich der Straße nach Pramort erneut in einen
Flak-Schießplatz umzuwandeln, siegt über die Idee des großflächigen
Naturschutzes.
Das gesamte Gelände östlich der heutigen Informationsausstellung "Lebensräume" wird als Sperrgebiet ausgewiesen. Ein Betreten bzw. Befahren der Straße hinter dem Schlagbaum ist nur mit einer besonderen Genehmigung möglich.
Diese Fläche wird landwirtschaftlich vom Volkseigenen Gut Zingst
genutzt. Zuvor ist es allerdings notwendig, die Bombentrichter zu
verfüllen und Blindgänger zu entschärfen.
Um neue Weideflächen zu gewinnen, wird Melioration zum
Wundermittel jener Jahre. Ertragreiches Weideland wird benötigt, um
Futtermittel industriemäßig zu produzieren. Heutzutage ist es kaum noch
vorstellbar, dass das größte Trockenwerk Mitteleuropas, in dem Gras zu
Pellets verarbeitetet wurde, sich in der Sundischen Wiese befand. Ein
ehrgeiziges Vorhaben, das mit einer sehr intensiven Nutzung des
Weidelandes einhergeht. Überdüngte Flächen und Eindeichungen führen zur
Zerstörung von Biotopen. Salzgrasland wird zu Weideland. Gülle, die
durch die Massentierhaltung in großen Mengen anfällt, wird einfach auf
die Flächen verteilt.
Bewohner, die es bislang noch in der Sundischen Wiese
ausgehalten haben, können oder wollen den restriktiven Maßnahmen und
deren Einflüssen auf ihr Leben nicht länger trotzen und verlassen einer
nach dem anderen die Sundische Wiese.
Vieles mehr gäbe es noch zu berichten. Wer sich die Schautafeln in der Nationalparkausstellung "Lebensräume"
oder in der Sundischen Wiese durchliest, wird zusätzliche Informationen
finden. Für eine vorbereitende oder nachbereitende Lektüre daheim gibt
es weitere vielfältige Materialien. Sie wurden von Mitarbeitern des
Nationalparkamtes erstellt und sind in allen Einrichtungen des
Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft erhältlich.
Schon Ende der 20er Jahre greift der Leiter der Oberförsterei Darß,
Franz Mueller, frühere Überlegungen zum Schutz des Darßwaldes auf. 1931
ruft der Schwede Bengt Berg nach einem Besuch auf dem Darß zur Schaffung
eines nordischen Urwildparkes auf. Ein Konzept wird erstellt,
Einzäunungen auf Darß und Zingst vorgenommen, erste Wisente und Elche
ausgesetzt. Die Idee von einem Urwild- und Nationalpark
Darß-Zingst-Sundische Wiese findet vielfache Zustimmung, sogar vom
preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring.
Als 1937 Göring ein Gebiet für einen Schieß- und
Bombenabwurfplatz suchte, bot Mueller die Sundische Wiese an. Das war
ein Fehler. Statt durch die Luftwaffe den ganzen Zingst und die
Werder-Inseln für das Naturschutzprojekt zu bekommen, war hiermit das
Aus für das Projekt besiegelt.
Etwa 20 Jahre vergehen, bis Naturschutz wieder ein Thema wird. 1955 setzt sich der Maler Karl-Heinrich Kluge zusammen mit anderen einheimischen Naturfreunden und der Ortsgruppe Zingst des Deutschen Kulturbundes für einen "Deutschen Nationalpark an der Ostsee" ein - mit dem Ziel, die Sundische Wiese in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten. Allerdings ein erfolglose Anstrengung. Auf höherer Ebene findet die Initiative jedoch keine Resonanz.
Nie verloren gegangen in all den Jahren der
militärischen Nutzung ist der Anspruch, diese Landschaft dauerhaft und
effektiv zu schützen.
1989 ist die Zeit erneut reif, um den Versuch zu starten,
die Sundische Wiese in einen Nationalpark einzugliedern. 1990 gilt als
das Gründungsjahr des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft. Noch
ist die Bundeswehr der Besitzer der militärisch genutzten
Einrichtungen. Fast droht das Vorhaben, die Wiese in den Nationalpark
einzubinden, wieder zu scheitern. Unabhängig von noch ausstehenden
Entscheidungen erobern sich die Naturliebhaber die Sundische Wiese. Ein
lange gesperrtes Gebiet erweckt ein großes Interesse. Und
Schutzmaßnahmen werden zwingend notwendig. Eine erste gezielte Maßnahme
ist das generelle Verbot, die Straße nach Pramort mit Kraftfahrzeugen zu
befahren. Zunächst übernimmt noch die Nationale Volksarme, dann die
Bundeswehr die Aufgabe, zerstörerischen Auswirkungen des
Besucheransturms Einhalt zu Gebieten.
1991 entzieht sich die Bundeswehr der
Aufsichtspflicht. Angestellte des Nationalparks rücken an ihre Stelle.
Endgültig siegt der Naturschutz mit der Auflösung der Garnison Zingst am
31. Mai 1993. Bauten und Objekte mit militärischer Bestimmung werden
zurückgebaut und verschwinden für immer aus dem Schutzgebiet. Ein lang
gehegter Traum wird Wirklichkeit.
Zurückgeblieben aus dem Kapitel der militärischen Nutzung
ist einstige Wachgebäude am Zugang zur Schutzzone 1. Es beherbergt die
Ausstellung "Lebensräume" des Nationalparkamtes.
Ostsee, Bodden, ungestörte Uferbereiche und vor allem das Windwatt sind ideales Brut- und Rastgebiet für viele Vogelarten. Die einen finden ausreichend Nahrung für sich und ihre Jungen, andere auf ihrem Durchzug in die Winterquartiere die nötige Ruhe. Je nach Anspruch haben Vögel gute Sicht zum langfristigen Ausmachen von Feinden auf offenen Flächen oder ideale Versteckmöglichkeiten. Für Durchzügler, wie zum Beispiel dem Kranich gibt es kaum einen besseren Rastplatz als diese vielfältige Region. Mit jährlich 60.000 Kranichen rasten in der Rügen-Bock-Kirr-.Region so viele wie nirgendwo in Europa. In noch höherem Maße nutzen Gänse die Sundische Wiese, um sich hier zu sammeln und danach weiter ins Winterquartier zu fliegen.
Bleibt nur noch eins - die Sundische Wiese mit eigenen Augen zu entdecken.